Olaf Kaltmeier (ed.) (2011)

Selling EthniCity: Urban Cultural Politics in the Americas

Surry, England and Burlington, VT: Ashgate, 291 S.



Rezensiert von Laura Kemmer


Freie Universität Berlin



Für die Produktion von Theorie- und Praxiswissen werden westliche urbane Räume und Gesellschaften seit einigen Jahren als Konzentrationspunkte von ethnischer Vielfalt entdeckt. Der von Olaf Kaltmeier herausgegebene Sammelband ermöglicht ein Hinterfragen dieser Ansätze. Das eurozentrische Ideal der sozialräumlich „homogenen Metropole“, deren Wettbe- werbsfähigkeit über die Vermarktung ethnischer und kultureller Diversität als „neues“ Phänomen gesteigert werden kann, wird hier aus einer beachtlichen Varianz human- und sozialwissenschaftlicher Perspektiven dekonstruiert. Als äußerst bereichernd erweist sich die Auswahl der Fallbeispiele, welche in den vier für diese Rezension im einzelnen besprochenen thematischen Sektionen organisiert sind und zwischen Sucre (Bolivien) und Vancouver (Kanada) nicht nur ein geografisches Spektrum auffächern: Der Fokus auf urbane Räume des gesamten amerikanischen Kontinentes bedeutet in diesem Fall auch das Wandern von theoretischen Konzepten – wie dem der „Kreolisierung“ – von der für ihren hohen Grad an Urbanisierung bekannten lateinamerikanischen Region in die Zentren der US-amerikanisch dominierten Stadtforschung. Die Stärke des Buches liegt darin, über die Verbindung des Themenkomplexes Kulturpolitik mit der Kritik an strategischen Repräsentationen und „ethnisierten“ Imaginarien nicht ein einheitliches Argument zu verfolgen. Vielmehr wird Raum für eine Vielzahl kritischer Perspektiven geschaffen, welche die Amerikas als „Labor pluriethnischer urbaner Kulturen“1 an den Ausgangspunkt eines neuen interdisziplinären Forschungs- programms innerhalb der transnationalen Regionalstudien stellt.


Unter dem Titel „The Spectacular City and Performance of Ethnicity“ (23-87) werden in der ersten Sektion etablierte Formen des Zelebrierens ethnokultureller Vielfalt wie Mardi Gras in New Orleans (John Gold) und Blues Clubs in Chicago mit aktuellen Phänomenen der gewaltsamen Aushandlung (Juliana Ströbele-Gregor) und Aneignung urbaner Räume (Jens Kastner) zusammengebracht. Die argumentative Stärke des Buches wird insbesondere über diesen ersten Abschnitt transportiert, zu dessen Gehalt die Beiträge der beiden letztgenannten Autor_innen beitragen. Die dort präsentierten detaillierten Analysen der Konstruktion dichotomer Differenzkategorien wie „weiß-indigen“; „Klasse-Ethnizität“; „urban-rural“ gehen über die von Kaltmeier (einleitend zu der Sektion) vorgestellte neo-marxistische Kritik eines Profitdenkens urbaner Eliten (23) hinaus. Ströbele-Gregor präsentiert eine Analyse der Gewaltausbrüche während des 199. Jahrestages der Revolution von Chuquisaca in Sucre (2008). Die Stratifizierung der urbanen bolivianischen Gesellschaft wird auf die Reartikulation kolonialistischer und rassistischer Muster des blanqueamiento (71) zurückgeführt, also der Invisibilisierung der indigenen Bevölkerung über die Ideologie der Criollos. Diesem Prozess (gewaltsamer) Differenzkonstruktionen zwischen „ruralen Indiosund „urbanen, weißen Eliten“ (72) stellt die Autorin jedoch gekonnt das Potenzial eines strategischen Essentialismus’ der „indigenen Bewegung“ (82) seit den 1990er Jahren entgegen. Während Ströbele-Gregor mit einer kritischen Einschätzung der durch Evo Morales repräsentierten Bestrebungen hin zu einem „multinationalen“ Bolivien schließt, liest sich der Beitrag von Kastner deutlich optimistischer. Als Ausdruck „hybrider Kulturen“ beschreibt der Autor mit Néstor García Canclini (García Canclini 2005, 243) das Phänomen „Graffiti“ im mexikanischen Oaxaca und begründet so das transformative Potenzial dieser künstlerischen und alltäglichen Praxis (55). Keinesfalls beschränkt auf „Subkulturen“, so betont Kastner, biete Graffiti aufgrund seiner massiven Verbreitung die Möglichkeit der Denormalisierung politischer Performanz (67) und somit ein Aufdecken ebensolcher ethno-sozialer Hierarchien, welche Ströbele- Gregor beschreibt.


Die zweite Sektion zu „The Use of Ethnicity in the Imagineering of Urban Landscapes“ (91-163) verbindet Beiträge mit äußerst unterschiedlichen method(olog)ischen Zugängen: von den Wechselwirkungen von Architektur und Religion im Falle einer jüdischen Gemeinde in Detroit (Julie TelRav), über die „narrativen Landschaften“ (137) des literarisch konstruierten „indigenen“ Seattle (Ruxandra Rădulescu) bis hin zu einer Analyse eines Dokumentarfilms über Los Angeles (Jens M. Gurr und Martin Butler). Der Beitrag des Herausgebers (171-189) sticht hier insofern hervor, als er nicht nur das Gemeinsame der genannten Fallbeispiele vor dem Hintergrund urbaner Identitätspolitiken herausarbeitet, sondern auch unter dem Begriff des Imagineering beschreibbar macht. Als „roter Faden“ findet sich einleitend zu Sektion zwei somit ein erneuter Verweis auf Canclini, dessen Beschreibung der Megacity als fragmentierte „urbane Imaginarien“ (García Canclini 1997) Kaltmeier höchst anschaulich mit dem durch die Disney Corporation etablierten Neologismus des Imagineering verknüpft, um die Überlagerung von wirtschaftlichen und „retro-kolonialen“ (99) Interessen am Beispiel eines Einkaufszentrums in Quito zu beschreiben.


Auf den Punkt gebracht wird die Frage nach kultureller Kommodifizierung in der dritten Sektion zu „Ethnic Heritage“ (167- 235). Diese beschreibt den Einfluss von so unterschiedlichen Akteuren wie der UNESCO und den „Weltkulturerbe- Tourist_innen“ (168) im historischen Zentrum Quitos (Fernando Carrión Mena und Manuel Dammert Guardia) bis hin zu „Expert_innen“ in Stadtplanung und -marketing in Vancouver (Alicia Menéndez Tarrazo). Perspektivwechsel werden in letztgenanntem Beitrag über die Analyse der Positionen von Kulturproduzent_ innen und Nachbarschaftsorganisationen eingeleitet, während die Studie des strategischen Einsatzes von Ethnizität in Mérida (Ricardo López Santilán) die agency der dort lebenden Maya betont. Konzeptionelle Anhaltspunkte bietet insbesondere der Beitrag von Nina Möllers, welcher Bedeutungen von „kreolisch“ in New Orleans mit dem lateinamerikanischen und karibischen criollo kontrastiert.


Das Buch schließt mit einer vierten Sektion, für welche die Beiträge zu sozialräumlicher Segregation in Guadalajara (Ulises Zarazúa Villaseñor), sowie zur ökonomischen Nutzung von Ethnizität in ausgewählten US-amerikanischen Stadtteilen (Eric C. Erbacher) und Chinatowns (Selma Siew Li Bidlingmaier) thematisch unter dem Stichwort gentrification (239-291) gebündelt werden. Hier zeigt sich die erste Schwäche dieses sonst so nachvollziehbar strukturierten und insbesondere aufgrund der in den vier einleitenden Kapiteln des Herausgebers vorgenommenen theoretischen Einbettung für die Lehre äußerst empfehlenswerten Buches. Im Gegensatz zu der sorgfältigen Herangehensweise, welche der Heterogenität der im Band vertretenen Städte gerecht wird, schlägt Kaltmeier ein einfaches Übertragen der aus einem US- amerikanischen Kontext entwickelten, klassenbasierten Kategorie der gentry vor. Werden die o.g. drei Beiträge zwar dem Anspruch des Buches weiterhin gerecht, so lässt die Kontextualisierung durch den Herausgeber hier eine kritische Distanz missen. Diese wird bedauernswerterweise auch nicht in einem Fazit relativiert, in dessen Rahmen die Frage nach der Kritik eines selling „EthniCity“ jenseits seiner ökonomischen Dimension hätte verhandelt werden können.


Angesichts seines Anspruches, zur Transnationalisierung der Regionalstudien beizutragen, wäre eine Reflektion der theoretischen und methodischen Reichweite des Sammelbandes wünschenswert gewesen. Fragen danach, inwiefern die untersuchten Phänomene ethnischer und kultureller Vielfalt spezifisch für die Amerikas sind, worin ihr Potential für die Untersuchung von Städten in anderen Weltregionen läge oder inwiefern es sich um Prozesse handelt, die urbane Räume über die Amerikas hinaus verbinden, bleiben somit der/m Leser_in überlassen.



1 “It is not only the massive urbanization processes, but also the (post)colonial condition of the societies of the Americas and the related drawing of boundaries between the ‘first’ and ‘third’ world which […] marks the American continent. Such interactions have turned the urban and metropolitan regions of the Americas into a laboratory for the emergence and development of pluriethnic urban cultures” (3)