Manuel Delgado (1999)
Barcelona: Editorial Anagrama, 218 S.
Manuel Delgado (2007)
Barcelona: Editorial Anagrama, 275 S.
Rezensiert von Anne Huffschmid
Lateinamerika-Institut, Freie Universität Berlin
Der Anthropologe Manuel Delgado ist eigentlich zu jung, um schon
als Klassiker eingeführt zu werden und zudem in Barcelona, nicht
in Lateinamerika, beheimatet. Dennoch ist der 1956 geborene
Katalane auch für die lateinamerikanische Diskussion um
öffentlichen Raum und Urbanität von zentraler Bedeutung. Denn
ohnehin verläuft die Debatte in Lateinamerika zunehmend jenseits
des Habermas‘schen Diktums einer rational räsonnierenden
Öffentlichkeit, das Öffentliche wird hier primär als
fragmentiertes, asymmetrisches, umkämpf- tes und immer wieder neu
ausgehandeltes Terrain diskutiert (vgl. Braig/Huffschmid 2009).
Einer seiner zentralen Schauplätze sind die Räume des städtischen
Lebens. Dieses wird zum Gegenstand einer häufig
disziplinübergreifend angelegten Stadtanthropologie, die sowohl
auf die Mikroräume des Urbanen wie auch die
miteinander zu verschränken sucht. Zu dieser
disiziplinüberschreitenden Erkundung des städtischen Lebens, die
vor allem an den Schnittstellen von Anthropologie, Soziologie und
Humangeographie betrieben wird, leistet Manuel Delgado in
konzeptueller wie methodologischer Hinsicht einen wichtigen
Beitrag.
Beide hier besprochenen Bände kreisen um das, was Delgado die
„praktizierte Stadt“ oder auch das Urbane, lo urbano,
nennt und was er ausdrücklich von „der Stadt“ unterscheidet. „Die
Städte können und sollen geplant sein. Das Urbane nicht. Das
Städtische ist das, was sich in einer Stadt nicht planen lässt“
(2007: 18)1 Die urbanistische
Wirklichkeit sehe hingegen oftmals genau das Gegenteil vor: „Man
plant das Städtische“, durch den Versuch der Kontrolle des
städtischen Alltagslebens, „aber nicht die Stadt“, die dem
privaten, Makrostrukturen des
Sozialen, Politischen und Kulturellen fokussiert und diese
unregulierten Wildwuchs überlassen werde (ebd.).
Zentraler Schauplatz des Städtischen ist für den Autor der
öffentliche Raum, der als Szenerie einer alteridad
generalizada, einer verallgemeinerten Alterität (1999: 14)
oder auch einer sociabilidad difusa, einer diffusen
Sozialität (2007: 13) in den Blick genommen wird, in Abgrenzung
zur gebauten oder privatisierten, aber auch zur bewohnten Stadt.
Das Städtische, so formuliert Delgado in der ihm eigenen Knappheit
und Prägnanz, sei „Stadt minus Architektur“ (2007: 82). Es sind
also nicht primär Architekten und Urbanisten, Bauherren oder
Investoren, die lo urbano produzieren, sondern jene
Städter_innen, die Delgado – im Einklang mit lateinamerikanischen
Stadtanthropologen wie Nestor García Canclini – urbanitas nennt.
Als urbanitas bezeichnet er diejenigen, und zwar
unabhängig von ihrem Wohn-, Arbeits- oder Aufenthaltsstatus, die
städtische Räume im Alltag nutzen. In diese Prämisse von
Stadtproduktion durch -nutzung fließt Henri Lefebvres
materialistische Analyse der sozialen und damit immer auch
ökonomischen Produktion des Raums ebenso ein wie die eher
mikrosoziologische „Fußgängerperspektive“ von Erving Goffman oder
Joseph Isaac.
Doch umgekehrt, und dies ist ein zentraler Gedanke bei Delgado,
produziert auch der städtische Raum urbane Subjektivitäten. Dies
tut er zum einen, indem er Bühnen für ihre Inszenierung und
Sichtbarwerdung bereit stellt: „Gewisse Kollektive nutzen den
öffentlichen Raum, um sich selbst als solche in Szene zu setzen,
weniger weil sie existieren, sondern um zu existieren“2. Zum anderen bietet der städtische Raum die
Möglichkeit der Unsichtbarwerdung, also des Abtauchens in die
urbane Anonymität, der Befreiung von Zuschreibungen und
Zwangsgemeinschaften und damit verbundenen hegemonialen Bild- und
Raumordnungen (1999: 203). Aus dieser Befreiung erwächst auch das,
was Delgado später „Recht auf Indifferenz“ nennt (2007:182).
Geht es im Band von 1999 noch allgemeiner um eine Anthropologie
des Öffentlichen, so wendet sich der Autor 2007 spezifischer dem
Kosmos der Straße als dessen zentrale Institution zu. Galt die
Straße aus Sicht der klassischen Anthropologie im Unterschied zu
den stabilen, regulierten und „Identität“ stiftenden bestimmten
Orten lange als Nicht- Ort (Marc Augé) oder reiner Transitraum,
wird sie bei Delgado nun zum Territorium des urbanen Lebens
schlechthin, gedacht als „massenhafte Erfahrung der Entortung und
der Verfremdung“ (2007: 12). Hinter dieser etwas rätselhaft
anmutenden Behauptung steckt die Idee, dass Draußen- Sein (estar
fuera) immer auch bedeutet, sich von den Orten und damit
auch von sich selber zu entfernen, also sowohl fuera de lugar
(so etwas wie out of place) oder eben auch fuera
de sí, „außer sich“ zu sein (2007:
33).
Was sich auf der Straße artikuliert, ist für Delgado eine Art
„Instant-Gesellschaft“ als mikrosoziale
Selbstorganisation. Doch anders als die Habermas‘sche
bürgerliche Öffentlichkeit, die Diskurse vom „öffentlichen Raum
als Ideologie“ (wie ein 2011 erschienener Band betitelt ist)
oder die Politiken der Domestizierung des städtischen Lebens
suggerieren, neigt diese Straßengesellschaft gerade nicht zum
Gleichgewicht oder Ausgleich, sondern ist und bleibt ein
konfliktiver Raum, „un espacio de y para el conflicto“, ein
„Raum des Konflikts und für den Konflikt“ (2007: 146/7).
Was aber impliziert eine „Straßen- anthropologie“, wie sie Delgado
vorschlägt, in methodologischer Hinsicht? Allgemein gesprochen,
fokussiert sie weniger auf stabile Strukturen, Ordnungen und
Organisationsprinzipien und eher auf städtische Praxen oder
„dynamische Strukturen“ (2007: 142), die im Sinne einer
Choreographie oder Orchestrierung im öffentlichen Raum zum Tragen
kommen. Damit liegt der Schwerpunkt weniger auf den Akteuren als
auf der sozialen Aktion und Interaktion an sich. Im Zentrum der
anthropologischen Annäherung steht damit etwas, was sich womöglich
als Mikrophysik des städtischen Alltags bezeichnen ließe.
Annäherung bedeutet aus anthropologischer Sicht vor allem
Beobachtung. Schon 1999 hatte Delgado für eine Haltung der
„schwebenden Beobachtung“ (observación flotante, 1999:
46-58) des städtischen Straßenlebens plädiert. Dabei werden – aus
der Perspektive eines weniger teilnehmenden denn unsichtbaren
Beobachters – die soziale und räumliche Aktion und Interaktion, in
allen ihren Verästelungen, visuellen und auditiven Spuren,
registriert (Delgado 1999: 46-58). Später wird dieses Plädoyer zum
Postulat einer nahezu „naturalistischen Beobachtung“ (2007: 98)
weiterentwickelt, die in einen „poetischen Positivismus“ (ebd.
109) münden solle. Diese Wendung erscheint vor allem als
Seitenhieb auf den allseits florierenden Hyperkonstruktivismus,
dem alles Soziale unweigerlich zur Fiktion mutiert und in dessen
Zuge jeder Realismus des Positivismus verdächtigt wird. Worum es
Delgado jedoch eher geht als um positivistische Abbildung, ist so
etwas wie eine Poetik der Details, die Zurkenntnisnahme der
kleinen und kleinsten Dinge in ihrer Verflochtenheit, ihren
impliziten Logiken und nicht zuletzt ihrer Unvorhersehbarkeit.
Dies erfordert ein Hineinbegeben in die Materialität und das
Fließen der Dinge und des Geschehens, das sich des Eingreifens
weitmöglichst enthält und stattdessen Aufmerksamkeit kultiviert.
Interaktive Zugänge wie Einzel- oder Gruppeninterviews seien
durchaus zulässig, da sie oft „das einzige Mittel [sind], das uns
einen Zugang ermöglicht zu den Bedeutungen, die die sozialen
Akteure den Elementen ihrer Umgebung zuschreiben“ (ebd. 104).
Dennoch sind sie im Instrumentarium von Delgados
Straßenanthropologie der konsequenten Beobachtung, also dem
„diskreten Blick“ des oder der Forschenden, untergeordnet.
In diesem Sinn hat sich auch das ethnographische Schreiben Delgado
zufolge vor allem dem jeweils unverwechselbaren Detail zuzuwenden
(„das Konkrete, Unwiederholbare, Spezifische“, ebd.
115). Zugleich aber gilt es, stets die eigene Autorschaft,
Subjektivität und Verortung sowie die komplizierte Frage der
Versprachlichung sozialer Erfahrung zu reflektieren. Letztlich
plädiert Delgado für eine experimentelle Anthropologie, die sich
von Interaktion und Imagination leiten lässt und sich eher an
Prozessen des Kennenlernens (conocer) als an zu erwerbenden
festen Wissensbeständen (saber) orientiert (ebd.124).
Zuweilen liest sich Delgados radikales Beobachterplädoyer so, als
würde „Sinnlichkeit“ und „Materialität“ gegen Sinn“ und „Diskurs“
ausgespielt. Als gäbe es so etwas wie eine voraussetzungslose
Beobachtung des puren Geschehens (lo que ocurre), die gegen
alle Lektüre- oder Analyseversuche zu verteidigen sei, und als
beschränke sich das Soziale auf das, was an der urbanen Oberfläche
tatsächlich beobachtbar ist. Doch wie sehr Manuel Delgado um die
politischen und sozialen Raster und Dynamiken weiß, in denen der
urbane Alltag in seinen beobachtbaren Displays eingeschrieben ist,
zeigen seine Überlegungen zu Differenz und Ungleichheit.
Denn urbanes Leben ist für den Straßenanthropologen kein stetes
Dahinfließen, sondern das andauernde Ineinandergreifen von
Prozessen, Handlungen und Ereignissen, damit auch von Mobilität
als urbanem Alltagsmodus und temporären Mobilisierungen (ebd.
155). Bei letzteren unterscheidet Delgado zwischen festiven und
politischen Stadtaneignungen. Beim Fest demonstriert-zelebriert
eine Gruppe ihre Existenz und Zu(sammen) gehörigkeit, etwa als
kulturelle oder religiöse Gemeinschaft; doch auch bei der
politischen Raumnahme ist so etwas wie säkulare Liturgie zu
beobachten, die oft nicht minder ritualisiert ist und auf festive
Kulturtechniken zurückgreift. Dabei sind räumliche Strategien wie
Demonstration, Barrikade, Kundgebung oder Platzbesetzung klar
instrumentell motiviert – sie dienen der Unterbrechung des
städtischen flows. Zugleich aber kommt ihnen eine
sinnstiftende Funktion zu: Begründet wird stets eine temporäre
Gemeinschaft von Protestierenden, die sich erst im Akt des
Protestierens als solche öffentlich konstituiert. Dieser
„Öffentlichkeitseffekt“ (ebd. 172), und darauf kommt es Delgado
an, geht also nicht von einer „organischen“ Gemeinschaft aus,
sondern vielmehr von einer Performance von Gesellschaft/lichkeit,
und dabei vor allem – im Sinne Pierre Bourdieus oder auch Michel
de Certeaus – dem „Kampf um das Recht, laut zu sprechen“
(ebd.177).
Mindest ebenso wichtig aber ist Manuel Delgado, wie oben bereits
erwähnt, das „Recht auf Indifferenz“ (2007: 182ff.), das sich als
erweiterte Variante der Recht- auf-Stadt-Forderung lesen ließe:
nämlich als Recht auf Urbanität. Was ist damit gemeint? Vor allem
vor dem Hintergrund seiner Heimatstadt Barcelona wendet sich
Delgado in aller Schärfe gegen die Differenzrhetorik eines
mittlerweile dominanten (Multi-)Kulturalismus. Dieser nehme den
Anderen – hier zunächst prototypisch: der Migrant oder die
Migrantin – aufgrund seiner essentiellen Eigenschaften, also wegen
dem, was er ist oder scheint, und nicht dem, was er oder sie
öffentlich erkennbar tut, als Andere/n wahr. So würde
dessen Privatheit, die mehr oder weniger zufälligen Umstände
seines oder ihres So-seins, ans Licht des Öffentlichen gezerrt,
und somit sein oder ihr Recht auf Anonymität und „höfliche
Gleichgültigkeit“ (Goffmann), als zentrale Prinzipien von
Urbanität (ebd. 138), verletzt. Gegen den kulturalisierten
„permanenten Ausnahmezustand“ (ebd.193) des Anders- Seins macht
Delgado das Recht des oder der Anderen auf Gewöhnlichkeit,
Gleichbehandlung und eben Indifferenz geltend.
Allerdings könne die Selbstdifferenzierung für migrantische Andere gegen die Unsichtbarmachung im liberalen Trugbild des melting pot durchaus von strategischem Nutzen sein, wie Delgado einräumt. So gilt das postulierte „Recht auf Indifferenz“ womöglich noch dringlicher für andere Andere, nämlich die sozial Deklassierten, all jene „die nicht ihre Zugehörigkeit zur Mittelschicht nachweisen können“ (ed.198). Hier zielt die Differenzrhetorik und Kulturalisierung der Armut ja vor allem auf diskursive Verschleierung von Ungleichheit. Das Recht auf Nicht-Differenz meint das Bürgerrecht auf Nicht-Ungleichbehandlung. In diesem Sinne kritisiert Delgado auch die mit der neuen Stadtpolitik einhergehende Sozialhygiene in Barcelona,3 wo der öffentliche Raum einer „Disziplinierung des öffentlichen Lebens“ unterworfen wird – der neue urbane Alltag werde somit zum faktischen Ausnahmezustand für Unerwünschte und Ausgegrenzte wie Huren oder Arme, Trinker oder Drogenabhängige. Diese kritische Intervention leistet, gerade weil am Beispiel des europäischen Musterbeispiels Barcelona argumentiert, einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zu der auch in Lateinamerika zuweilen recht normativ geführten Debatte um die Zivilisierung, Sicherung und „Revitalisierung“ der Innenstädte – wenn es etwa um die „Säuberung“ der historischen Altstadt vom informellen Straßenhandel, wie in Mexiko- Stadt oder auch Caracas, geht.
Auch die Geschlechterdifferenz und ihre Wirkung auf städtisches
Leben nimmt Delgado in den Blick. Bis heute werden Frauen in der
Stadtforschung vor allem als Wohnende und Kaufende, als
Prostituierte oder Gewaltopfer, gelegentlich auch als politisch
Aktive (oft als Mütter) beleuchtet; als urbane Subjekte hingegen
sind sie nahezu inexistent.4 Manuel
Delgados Kapitel „Die Frau der Straße“ (2007: 224-261) stellt
einen der seltenen Versuche der Stadtanthropologie dar,
Weiblichkeit und Urbanität konzeptuell miteinander zu
verschränken, und dabei einmal nicht die häusliche Sphäre oder das
Wohnen zu fokussieren: Es geht ihm auch hier um das urbane
Draußen, die öffentliche Stadt.
Schon die Urform der modernen Stadt- und Raumerfahrung, das
ungeschützte und unbehelligte Durch-die-Straßen-Ziehen, setzte in
der klassischen Stadtsoziologie einen geschlechtlich eindeutigen
Akteur als „Helden der Moderne” voraus (ebd. 225). War der
umherschweifende Schritt und Blick noch klar männlichen
Geschlechts, so konnte die Straße – oder sogar die Stadt an sich –
selbst durchaus weiblich kodiert sein, nämlich verheißungsvoll und
unkontrollierbar, so bedroht wie bedrohlich, als babylonische
Hure. Auch buchstäblich wurde die Prostituierte zum Prototypen der
öffentlichen Frau, allerdings nicht als Pendant zum öffentlichen
Mann, dem Bürger und Flaneur. Frauen traten eher als Verkörperung,
nicht als Subjekte des urbanen Begehrens in Erscheinung, sie
blieben eher städtische Natur und „Bestandteil des öffentlichen
Raums” (ebd. 226).
Jedoch schwand im Zuge der Etablierung einer dichotomen Raum- und
Geschlechterordnung bekanntlich auch für die nicht-öffentliche
Frau schnell die Illusion vom privaten als Rückzugs- und
Schutzraum gegenüber den Risiken des Draußen-Seins.
Es entstand, so Delgado, eine Art weibliche Unbehaustheit,
„zuhause unterworfen; außerhalb des Hauses einfach inexistent,
unsichtbar” (ebd. 232). Doch gerade die Unsichtbarkeit lässt den
öffentlichen Raum für Frauen wiederum an Attraktivität gewinnen.
Schon in der literarischen Moderne, so Delgado, galt „die Straße
als guter Ort, um das Weibliche zu denken” (ebd.246). Ein Beispiel
dafür ist Virginia Woolf, für die das Umherstreifen durch die
Londoner Straßen einer genussvollen, selbstvergessenen
„Selbstverfremdung” gleicht, wie Nattie Golubov schreibt (2007:
61), gewissermaßen ein komplementärer Raum zu ihrem berühmten
„Zimmer für sich allein“. Auch Woolf geht es um den Schwebezustand
zwischen Da-sein und Nicht-da-sein, das Sichverlieren im Urbanen,
die Erfahrung von Fremdheit und Beweglichkeit, kurz: all jene
Praktiken und Erfahrungen, die für Manuel Delgado städtischen
Alltag und Straßenleben begründen.
Dessen „Lob des Draußen“, wie das erste Kapitel so schön
überschrieben ist (2007: 27) liest sich an manchen Stellen wie ein
Hohelied auf die Zerstreuung, Horizontalität und Unberechenbarkeit
des städtischen Lebens, als Gegenstück zum strukturverhafteten
Drinnen und überhaupt der überdeterminierten Stadt. So erscheint
auch die Straße als strukturell offener Raum, der als „Tafel“,
Projektionsfläche oder „eine weiße Leinwand“ immer wieder neu be-
und überschrieben werden kann (ebd. 162). Doch die darin
anklingende Neigung zur Verklärung des Öffentlichen als Reich
einer radikalen Demokratie bricht sich bei Delgado stets am Wissen
um die diskursiven Aufladungen von Straßen, Plätzen und Avenidas,
um realexistierende Zugangsbeschränkungen, segregierende Diskurse
und Politiken wie auch die je nach Alteritätsklasse divergierenden
Stadt- und Raumerfahrungen der urbanitas.
So bleibt der öffentliche Raum, insbesondere die Straße, auch für
Delgado ein ambivalenter Raum, der sich einfachen Zuschreibungen
entzieht. Bei aller Offenheit sei dieser nicht zu verwechseln mit
einer „Bühne der oder für die schrankenlose menschliche Freiheit“
(2007:260), einer raumgewordenen Repräsentation von Citizenship
und Demokratie. Gegen eine solche „naive Idealisierung“, vor
allem aber gegen das ideologisch motivierte Missverständnis vom
öffentlichen als leeren Raum, den es urbanistisch zu gestalten und
zu füllen gelte (Delgado 2011), postuliert Manuel Delgado in
seinen Annäherungen und Analysen die konstitutive Konfliktivität
des Städtischen.
1 „Las ciudades pueden y deben ser planificadas.Lo urbano,
no. Lo urbano es lo que no puede ser planificado en una ciudad,
ni se deja“ (2007: 18)
2 „Ciertos colectivos usan el espacio público para ponerse
en escena a si mismos en tanto a tales, no porque existen sino
precisamente
para existir“ (1999: 45)
3 Vgl. dazu seinen 2007 erschienenen Band La ciudad mentirosa
(dt. die lügnerische Stadt)
4 Vgl. zur Frage des Weiblichen in der Stadt auch Huffschmid
2008
(1999): Ciudad líquida, ciudad interrumpida, Medellín: Universidad
Nacional de Colombia.
(2006 mit Carlota Gallén): Normalidad y límite. Construcción social el border line, Madrid: Fundación Ramón Areces.
(2007): La ciudad mentirosa. Fraude y miseria del “modelo
Barcelona”, Madrid: La Catarata.
(2011): Es espacio público como ideologia. Madrid: La Catarata.
Golubov, Nattie (2007): „Tránsitos por la ciudad: subjetividad,
intimadad y espacios públicos“, in: Parrini Roses, Rodrigo (Hg.),
Los contornos del alma, los límites del cuerpo. Género,
coporalidad y subjetivación, Mexiko- Stadt: Programa
Universitario de Estudios de Género, 59-78.
Huffschmid, Anne (2008): „Paradoxien des Weiblichen im
öffentlichen Raum: Überbelichtung, Unsichtbarkeit, Trans-
gressionen“, in: Becker, Anne et al. (Hg.), Verhandlungssache
Mexiko Stadt. Umkämpfte Räume, Stadtaneigungen, Imaginarios
urbanos, Berlin: b_books, 247-258.
Braig, Marianne und Huffschmid, Anne (Hg.) (2009): Los poderes
de lo público. Debates, espacios y actores en América Latina,
Frankfurt a.M. und Madrid: Vervuert.