Laura Erickson-Schroth (Hrsg.) (2014)
|
Rezensiert von Ligia Fabris Campos
Humboldt Universität zu Berlin
Die Psychiaterin Laura Erickson-Schroth hat ein Handbuch über
Trans*1
Gesundheit, -Körper und -Identitäten herausgegeben, das sich
besonders der Trans*Pathologisierung2
entgegenstellt (xi) und als Ressource und Informationsquelle für
die Trans*Gemeinschaft dient (xiii). Es geht um ein Projekt, das
den Spuren eines klassischen Werks der zweiten Welle des
Feminismus in den USA aus dem Jahr 1973, „Our Bodies, Ourselves“,
folgt (xi). Ähnlich wie im inspirierenden Vorgängerwerk wurden
Stimmen gesammelt, die besonders aufgrund des Selbsterlebens und
der Erfahrung eine neue Erkenntnis aufzeigen wollen, die das durch
herrschende „Fachspezialisten“ verbreitete Wissen herausfordern
sollte. Diesmal liegt aber das Ziel darin, sich einerseits von
Pathologisierung , Stereotypisierung, Entfremdung und
Homogenisierung der biologischen und medizinischen (besonders
psychiatrischen) Diskurse zu entfernen und andererseits die
Komplexität und die Diversität von Trans*Identitäten und
-Identifikationen zur Debatte zu stellen und zu zelebrieren: „Es
gibt so viele, viele Möglichkeiten, wir selbst zu sein“ (xvii)3.
Während „Our Bodies, Ourselves“ von und für Frauen geschrieben
wurde, geht es hier um ein Werk, das von und für Transgender und
nicht genderkonforme Personen4
geschrieben wurde. Es gibt keine einzelne beherrschende Methode im
Buch: Einige Autor_innen nehmen empirische Forschung auf (z. B.
wenn Diskriminierung im Laufe des Buches thematisiert wird, wie im
Fall des Arbeitsmarktes), andere stützen sich auf Gendertheorien
(wie z. B. Queer Theory), andere wiederum auf (kritische)
medizinische Erkenntnisse (z. B. um über die medizinische
Transition zu erzählen). Darüber hinaus werden Aussagen von
Trans*Personen und ihre Erfahrungen (z. B. im Teil über die
chirurgische Transition) benutzt. Die Absicht der Autor_innen ist
es, durch die Thematisierung, Darstellung von Fachkenntnissen und
eigenen Erfahrungen zu Trans*Gesundheit und -Sexualität die
herrschenden und weit verbreiteten Vorstellungen (besonders der
Medizin und der Biologie) über Transgenderkörper und -psyche
herauszufordern (xi). Das Monopol des medizinischen
Establishments, das die von etablierten Normen abweichenden
Identitäten und Verhaltensweisen als krankhaft bezeichnet, von den
Machthaber_innen verwendet und in der Öffentlichkeit angenommen
wird, ist damit infrage gestellt (xi). Dadurch sollen Transgender
selbst politisch und sozial gestärkt werden und die Wahrnehmung
von verschiedenen Akteur_innen – insbesondere Ärzt_innen – durch
Zeugnisse, Informationen und Kenntnisse verändert werden. Hierzu
gehört der Kampf gegen die Pathologisierung von Trans-Identitäten,
ähnlich wie die Feminist_innen in den 1970er Jahren die
Pathologisierung von Lesben beanstandet haben. Die herrschende
medizinische Betrachtungsweise wird sowohl den alternativen und
selbsterzeugten Kenntnissen als auch dem wissenschaftlichen
Fachwissen gegenübergestellt, da viele Anhänger_innen, u. a. die
Herausgeberin selbst, Psychiater_innen, Ärzt_innen sind (xi). So
betont das Buch die Notwendigkeit einer alternativen, von
Trans*Personen selbsterzeugten Erkenntnis als Triebkraft einer
soziopolitischen Handlung, die Stereotypisierungen abschaffen und
dem Empowerment der Transgender dienen soll.
Von Anfang an besteht nicht die einzige, vereinfachte und uniforme
Darstellung von Trans*, weder in Bezug darauf, was kennzeichnend
ist, um Trans* zu sein, noch welcher Begriff angemessen wäre, es
zu erfassen: Es wird u. a. von Trans, Trans*, Transgender,
Transsexuals, Transmen and Transwomen, gender non-conforming
people geschrieben. So soll, anders als bei der zweiten Welle des
Feminismus, die Vielfältigkeit nicht übersehen werden. „Trans
Bodies, Trans Selves“ beinhaltet Ansätze zu Race, Ethnizität und
Kultur (Kapitel 2), Migration (Kapitel 3), Klasse (S. 34, 185,
578-580) Bildung und Arbeitsmarkt (Kapitel 9), Behinderung
(Kapitel 4), Alter (Kapitel 19, 20, 21), sexueller Orientierung
(9, 48, 81, 88, 364-365), Familienstand (Kapitel 16, 17, 18),
politischen Ansichten (Kapitel 24) sowie Gewalt und
Diskriminierung (im ganzen Buch).
Das Buch verfolgt den Anspruch, die Transgender aus ihren vielen
Perspektiven, d. h. verschiedenen Meinungen, Gefühlen und
Wünschen, zu begreifen. Das ist bereits in Sektion 1 „Who we are“,
besonders in Kapitel 1 „Our many selves“, sichtbar. Dabei wird
schon in der Einleitung (xiii) eingestanden, dass die Betrachtung
der Trans*-Vielfältigkeit in verschiedenen Hinsichten versagt. Es
wurde versucht, diese Lücke durch persönliche Zeugenaussagen von
Trans*Personen aus aller Welt zu schließen. Im Laufe des Buches
werden viele Zitate einer Umfrage wiedergegeben, für die 3000
Trans*Teilnehmer aus der ganzen Welt über ihr Leben befragt wurden
und die auf der Webseite von „Trans Bodies, Trans Selves“
veröffentlicht wurde. Diese Zeugenaussagen haben aber nur einen
illustrativen Charakter, da sie in einem vom Text getrennten
Bereich und nicht als integrierter Teil des Kapitels auftreten.
Was die Autor_innen betrifft, lebt die große Mehrheit in den USA
oder Kanada, viele stammen aus der Mittel- und Oberschicht, viele
sind weiß (xiii).
Dieses Problem hat spürbare Konsequenzen und macht sich in
verschiedenen Momenten und Teilen des Buches bemerkbar. Das wird
z. B. in den Abschnitten offensichtlich, in denen
verallgemeinernde, angeblich universelle Erzählungen vorgestellt
werden, die eigentlich nur vom Standpunkt eines Landes aus,
nämlich den USA, gültig sind. Wenn erstmals „Transitioning“
thematisiert wird (7), wird einfach festgestellt, „einige von uns
haben sich der hormonellen Behandlung oder einem chirurgischen
Eingriff unterzogen. Einige von uns wünschen sich, die Operation
bezahlen zu können (...)“. Ein solcher Anspruch ist nur in dem
historischen Zusammenhang des privaten US-Gesundheitssystems
denkbar. In anderen Ländern, in denen soziale Bewegungen sich
traditionell an den Staat wenden, um öffentliche
Dienstleistungsaufträge einzufordern, fällt diese individuelle
Konzeption weniger ins Gewicht. Gleiches fällt bei „Paying for
hormones“ (244), „Paying for Surgery“ (274), den voraussichtlichen
Kosten in US-Dollar (276, 278-285), „Paying for mental health
care“ (295), „Paying for school“ (471) usw. auf. In dieser
Hinsicht gibt es einen ausführlichen Teil in Sektion 3 (Kapitel
11-15), in dem die „Geschichte der
Transgender-Gesundheitsfürsorge“ erläutert wird (216), wobei diese
Geschichte anscheinend nur in den USA stattgefunden hat. Zum Titel
des Abschnittes hätte „in den USA“ hinzugefügt werden können, um
die Leser_innen darauf aufmerksam zu machen, dass kein anderes
Land außer den USA betrachtet wird – wie in Kapitel 22 über die
Geschichte der Trans*Bewegung deutlich gemacht wurde, dass es um
„US History“ geht (501). Das genannte Problem verdeutlicht
Verdrängungsmechanismen anderer Narrative, Erfahrung und
Geschichten, die für die Darstellung der Trans-Vielfältigkeit
bedeutend sind. Vielleicht zeigt es auch auf, dass es genauso wie
beim inspirierenden Vorgängerwerk für „Trans Bodies, Trans Selves“
eine angepasste Ausgabe für jedes Land brauchen wird.
Dies soll aber die politische und wissenschaftliche Relevanz des
Buches nicht schmälern. Im Gegenteil: „Trans Bodies, Trans Selves“
ist eine grundlegende, von Trans* erzeugte Quelle, die dazu
imstande ist, Instrumente gegen Stereotypisierung und
Pathologisierung sowie zur Unterstützung und zum Empowerment von
Trans*Personen und -Gemeinschaften bereitzustellen. Dieses Ethos
umfasst alle 24 im Buch bestehenden Kapitel, die in sechs
Sektionen unterteilt sind. Sie behandeln wichtige Aspekte des
Lebens und der Interessen von Trans*.
Die begriffliche Achse, die durch dieses Buch verläuft, ist die
der Geschlechtsidentität bzw. -identitäten5.
Es ist das erste betrachtete Konzept, und zwar in der
Thematisierung der Unterscheidung Sex und Gender, die einfach als
„biologisches und genetisches Geschlecht“ und „soziales
Geschlecht“ vorgestellt wird. Das ist eine starke Vereinfachung,
die im Buch etwas oberflächlich behauptet wird (3, 614). Im
spezifischen Kapitel über „Sex and Gender Development“ (Kapitel 6)
wird die Komplexität dieser Unterscheidung nur erwähnt, ohne
tiefer auf diese wichtige Diskussion einzugehen: „(...) aber Sex
und Gender sind nicht völlig unterschiedliche Konzepte, und
soziale und biologische Faktoren spielen eine wichtige Rolle in
der Festlegung sowohl von unserem Sex als auch von unserem Gender“6
(80). Obwohl die Queer Theory im Buch relativ häufig zitiert wird,
werden ihre Erkenntnisse nur in Bezug auf Gender und nicht auf Sex
als gesellschaftliches Ereignis behandelt. Die
Ent-Essentialisierung des Sexes lässt sich allerdings durch die im
Buch beschriebenen zahlreichen fruchtbaren Erfahrungen und
Reflexionen enthüllen. Daher tritt „Trans Bodies, Trans Selves“ so
radikal und grundlegend wie sein Vorgängerwerk auf. Das Werk
leistet als ausführliches Handbuch einen wichtigen Beitrag zur
Erfassung der Lebenswirklichkeit von Trans*. So bietet es nicht
nur einen umfassenden Überblick über alle wichtigen Aspekte vom
Trans*Leben, sondern enthält auch wertvolle Hinweise zur Vision
einer möglichen und besseren, toleranteren, inklusiveren und
vielfältigeren Gesellschaft.
Bibliographie
Franzen, Jannik/Sauer, Arn, Benachteiligung von Trans* Personen,
insbesondere im Arbeitsleben. Berlin: Antidiskriminierungsstelle
des Bundes, 2010, S. 7,
http://www.transinterqueer.org/download/Publikationen/benachteiligung_von_trans_personen_insbesondere_im_arbeitsleben.pdf.
1 Hier werden statt des
pathologisierenden Begriffs „Transsexuelle“ die von
Trans*Bewegungen entwickelten Begriffe „Transgender“, Trans
oder Trans* verwendet. Die unterschiedlichen Begriffe sind in
„Trans Bodies, Trans Selves“ so erklärt: „Transgender and
trans are often referred to as umbrella terms because they can
include different identities. More recently, the terms trans*
read as ‚trans star’ and TGNC, an anacronym for trans and
gender nonconforming, are being used more broadly to signify
that there are numerous identities within transgender
communities“. Franzen und Sauer erklären dazu ausführlicher:
„Dabei dient der Stern* als Platzhalter für diverse Komposita.
Trans* findet Verwendung in einem Spektrum von trans*, LSBT-
[Lesben-Schwul] und queer-feministischen Kontexten, die von
Selbsthilfe- bis hin zu aktivistischen Gruppen reichen.
Aufgrund dieser Verbreitung und Inklusivität verwenden wir
Trans* als Oberbegriff, um ein breites Spektrum von
Identitäten, Lebensweisen und Konzepten zu bezeichnen, auch
solche, die sich geschlechtlich nicht verorten (lassen)
möchten. Gleichzeitig ist es uns ein Anliegen, die jeweils
spezifischen Erfahrungen, Positionen und Selbstbezeichnungen
zu differenzieren und zu benennen, die im Folgenden
vorgestellt werden. Die Schwierigkeiten und Grenzen eines
Oberbegriffs sind uns bewusst.“ (Franzen/Sauer 2010: 7).
2 Trans*Personen werden in herrschenden medizinischen Quellen als „Transsexuelle“ bezeichnet, was das „Sexuelle“, d. h. das physische biologische Geschlecht und einen angeblich vorausgesetzten Wunsch nach einer operativen und hormonellen Behandlung betont. Im Krankheitskatalog der Weltgesundheitsorganisation („International Classification of Diseases“, ICD-10) steht „Transsexualismus“ als eine psychiatrische Störung, nämlich die „Störung der Geschlechtsidentität“ (F.64). Der Kampf für die Abschaffung dieser Klassifikation von Trans*Identitäten als krankhaft und homogenisiert ist ein wesentlicher Bestandteil der Trans*Bewegung und dadurch auch des rezensierten Buches.
3 „There are so many, many ways of being us“
4 „Gender non-conforming people“
5 „Gender Identity“
6 „(...) but sex and gender are not completely separate concepts, and social and biological factors play an important role in defining both our sex and gender“