Laura Erickson-Schroth (Hrsg.) (2014)


Trans Bodies, Trans Selves: A Resource for the Transgender Community


Oxford University Press, 649 S.



Rezensiert von Ligia Fabris Campos


Humboldt Universität zu Berlin


Die Psychiaterin Laura Erickson-Schroth hat ein Handbuch über Trans*1 Gesundheit, -Körper und -Identitäten herausgegeben, das sich besonders der Trans*Pathologisierung2 entgegenstellt (xi) und als Ressource und Informationsquelle für die Trans*Gemeinschaft dient (xiii). Es geht um ein Projekt, das den Spuren eines klassischen Werks der zweiten Welle des Feminismus in den USA aus dem Jahr 1973, „Our Bodies, Ourselves“, folgt (xi). Ähnlich wie im inspirierenden Vorgängerwerk wurden Stimmen gesammelt, die besonders aufgrund des Selbsterlebens und der Erfahrung eine neue Erkenntnis aufzeigen wollen, die das durch herrschende „Fachspezialisten“ verbreitete Wissen herausfordern sollte. Diesmal liegt aber das Ziel darin, sich einerseits von Pathologisierung , Stereotypisierung, Entfremdung und Homogenisierung der biologischen und medizinischen (besonders psychiatrischen) Diskurse zu entfernen und andererseits die Komplexität und die Diversität von Trans*Identitäten und -Identifikationen zur Debatte zu stellen und zu zelebrieren: „Es gibt so viele, viele Möglichkeiten, wir selbst zu sein“ (xvii)3.


Während „Our Bodies, Ourselves“ von und für Frauen geschrieben wurde, geht es hier um ein Werk, das von und für Transgender und nicht genderkonforme Personen4 geschrieben wurde. Es gibt keine einzelne beherrschende Methode im Buch: Einige Autor_innen nehmen empirische Forschung auf (z. B. wenn Diskriminierung im Laufe des Buches thematisiert wird, wie im Fall des Arbeitsmarktes), andere stützen sich auf Gendertheorien (wie z. B. Queer Theory), andere wiederum auf (kritische) medizinische Erkenntnisse (z. B. um über die medizinische Transition zu erzählen). Darüber hinaus werden Aussagen von Trans*Personen und ihre Erfahrungen (z. B. im Teil über die chirurgische Transition) benutzt. Die Absicht der Autor_innen ist es, durch die Thematisierung, Darstellung von Fachkenntnissen und eigenen Erfahrungen zu Trans*Gesundheit und -Sexualität die herrschenden und weit verbreiteten Vorstellungen (besonders der Medizin und der Biologie) über Transgenderkörper und -psyche herauszufordern (xi). Das Monopol des medizinischen Establishments, das die von etablierten Normen abweichenden Identitäten und Verhaltensweisen als krankhaft bezeichnet, von den Machthaber_innen verwendet und in der Öffentlichkeit angenommen wird, ist damit infrage gestellt (xi). Dadurch sollen Transgender selbst politisch und sozial gestärkt werden und die Wahrnehmung von verschiedenen Akteur_innen – insbesondere Ärzt_innen – durch Zeugnisse, Informationen und Kenntnisse verändert werden. Hierzu gehört der Kampf gegen die Pathologisierung von Trans-Identitäten, ähnlich wie die Feminist_innen in den 1970er Jahren die Pathologisierung von Lesben beanstandet haben. Die herrschende medizinische Betrachtungsweise wird sowohl den alternativen und selbsterzeugten Kenntnissen als auch dem wissenschaftlichen Fachwissen gegenübergestellt, da viele Anhänger_innen, u. a. die Herausgeberin selbst, Psychiater_innen, Ärzt_innen sind (xi). So betont das Buch die Notwendigkeit einer alternativen, von Trans*Personen selbsterzeugten Erkenntnis als Triebkraft einer soziopolitischen Handlung, die Stereotypisierungen abschaffen und dem Empowerment der Transgender dienen soll.


Von Anfang an besteht nicht die einzige, vereinfachte und uniforme Darstellung von Trans*, weder in Bezug darauf, was kennzeichnend ist, um Trans* zu sein, noch welcher Begriff angemessen wäre, es zu erfassen: Es wird u. a. von Trans, Trans*, Transgender, Transsexuals, Transmen and Transwomen, gender non-conforming people geschrieben. So soll, anders als bei der zweiten Welle des Feminismus, die Vielfältigkeit nicht übersehen werden. „Trans Bodies, Trans Selves“ beinhaltet Ansätze zu Race, Ethnizität und Kultur (Kapitel 2), Migration (Kapitel 3), Klasse (S. 34, 185, 578-580) Bildung und Arbeitsmarkt (Kapitel 9), Behinderung (Kapitel 4), Alter (Kapitel 19, 20, 21), sexueller Orientierung (9, 48, 81, 88, 364-365), Familienstand (Kapitel 16, 17, 18), politischen Ansichten (Kapitel 24) sowie Gewalt und Diskriminierung (im ganzen Buch).


Das Buch verfolgt den Anspruch, die Transgender aus ihren vielen Perspektiven, d. h. verschiedenen Meinungen, Gefühlen und Wünschen, zu begreifen. Das ist bereits in Sektion 1 „Who we are“, besonders in Kapitel 1 „Our many selves“, sichtbar. Dabei wird schon in der Einleitung (xiii) eingestanden, dass die Betrachtung der Trans*-Vielfältigkeit in verschiedenen Hinsichten versagt. Es wurde versucht, diese Lücke durch persönliche Zeugenaussagen von Trans*Personen aus aller Welt zu schließen. Im Laufe des Buches werden viele Zitate einer Umfrage wiedergegeben, für die 3000 Trans*Teilnehmer aus der ganzen Welt über ihr Leben befragt wurden und die auf der Webseite von „Trans Bodies, Trans Selves“ veröffentlicht wurde. Diese Zeugenaussagen haben aber nur einen illustrativen Charakter, da sie in einem vom Text getrennten Bereich und nicht als integrierter Teil des Kapitels auftreten. Was die Autor_innen betrifft, lebt die große Mehrheit in den USA oder Kanada, viele stammen aus der Mittel- und Oberschicht, viele sind weiß (xiii).


Dieses Problem hat spürbare Konsequenzen und macht sich in verschiedenen Momenten und Teilen des Buches bemerkbar. Das wird z. B. in den Abschnitten offensichtlich, in denen verallgemeinernde, angeblich universelle Erzählungen vorgestellt werden, die eigentlich nur vom Standpunkt eines Landes aus, nämlich den USA, gültig sind. Wenn erstmals „Transitioning“ thematisiert wird (7), wird einfach festgestellt, „einige von uns haben sich der hormonellen Behandlung oder einem chirurgischen Eingriff unterzogen. Einige von uns wünschen sich, die Operation bezahlen zu können (...)“. Ein solcher Anspruch ist nur in dem historischen Zusammenhang des privaten US-Gesundheitssystems denkbar. In anderen Ländern, in denen soziale Bewegungen sich traditionell an den Staat wenden, um öffentliche Dienstleistungsaufträge einzufordern, fällt diese individuelle Konzeption weniger ins Gewicht. Gleiches fällt bei „Paying for hormones“ (244), „Paying for Surgery“ (274), den voraussichtlichen Kosten in US-Dollar (276, 278-285), „Paying for mental health care“ (295), „Paying for school“ (471) usw. auf. In dieser Hinsicht gibt es einen ausführlichen Teil in Sektion 3 (Kapitel 11-15), in dem die „Geschichte der Transgender-Gesundheitsfürsorge“ erläutert wird (216), wobei diese Geschichte anscheinend nur in den USA stattgefunden hat. Zum Titel des Abschnittes hätte „in den USA“ hinzugefügt werden können, um die Leser_innen darauf aufmerksam zu machen, dass kein anderes Land außer den USA betrachtet wird – wie in Kapitel 22 über die Geschichte der Trans*Bewegung deutlich gemacht wurde, dass es um „US History“ geht (501). Das genannte Problem verdeutlicht Verdrängungsmechanismen anderer Narrative, Erfahrung und Geschichten, die für die Darstellung der Trans-Vielfältigkeit bedeutend sind. Vielleicht zeigt es auch auf, dass es genauso wie beim inspirierenden Vorgängerwerk für „Trans Bodies, Trans Selves“ eine angepasste Ausgabe für jedes Land brauchen wird.


Dies soll aber die politische und wissenschaftliche Relevanz des Buches nicht schmälern. Im Gegenteil: „Trans Bodies, Trans Selves“ ist eine grundlegende, von Trans* erzeugte Quelle, die dazu imstande ist, Instrumente gegen Stereotypisierung und Pathologisierung sowie zur Unterstützung und zum Empowerment von Trans*Personen und -Gemeinschaften bereitzustellen. Dieses Ethos umfasst alle 24 im Buch bestehenden Kapitel, die in sechs Sektionen unterteilt sind. Sie behandeln wichtige Aspekte des Lebens und der Interessen von Trans*.


Die begriffliche Achse, die durch dieses Buch verläuft, ist die der Geschlechtsidentität bzw. -identitäten5. Es ist das erste betrachtete Konzept, und zwar in der Thematisierung der Unterscheidung Sex und Gender, die einfach als „biologisches und genetisches Geschlecht“ und „soziales Geschlecht“ vorgestellt wird. Das ist eine starke Vereinfachung, die im Buch etwas oberflächlich behauptet wird (3, 614). Im spezifischen Kapitel über „Sex and Gender Development“ (Kapitel 6) wird die Komplexität dieser Unterscheidung nur erwähnt, ohne tiefer auf diese wichtige Diskussion einzugehen: „(...) aber Sex und Gender sind nicht völlig unterschiedliche Konzepte, und soziale und biologische Faktoren spielen eine wichtige Rolle in der Festlegung sowohl von unserem Sex als auch von unserem Gender“6 (80). Obwohl die Queer Theory im Buch relativ häufig zitiert wird, werden ihre Erkenntnisse nur in Bezug auf Gender und nicht auf Sex als gesellschaftliches Ereignis behandelt. Die Ent-Essentialisierung des Sexes lässt sich allerdings durch die im Buch beschriebenen zahlreichen fruchtbaren Erfahrungen und Reflexionen enthüllen. Daher tritt „Trans Bodies, Trans Selves“ so radikal und grundlegend wie sein Vorgängerwerk auf. Das Werk leistet als ausführliches Handbuch einen wichtigen Beitrag zur Erfassung der Lebenswirklichkeit von Trans*. So bietet es nicht nur einen umfassenden Überblick über alle wichtigen Aspekte vom Trans*Leben, sondern enthält auch wertvolle Hinweise zur Vision einer möglichen und besseren, toleranteren, inklusiveren und vielfältigeren Gesellschaft.


Bibliographie


Franzen, Jannik/Sauer, Arn, Benachteiligung von Trans* Personen, insbesondere im Arbeitsleben. Berlin: Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2010, S. 7, http://www.transinterqueer.org/download/Publikationen/benachteiligung_von_trans_personen_insbesondere_im_arbeitsleben.pdf.


1 Hier werden statt des pathologisierenden Begriffs „Transsexuelle“ die von Trans*Bewegungen entwickelten Begriffe „Transgender“, Trans oder Trans* verwendet. Die unterschiedlichen Begriffe sind in „Trans Bodies, Trans Selves“ so erklärt: „Transgender and trans are often referred to as umbrella terms because they can include different identities. More recently, the terms trans* read as ‚trans star’ and TGNC, an anacronym for trans and gender nonconforming, are being used more broadly to signify that there are numerous identities within transgender communities“. Franzen und Sauer erklären dazu ausführlicher: „Dabei dient der Stern* als Platzhalter für diverse Komposita. Trans* findet Verwendung in einem Spektrum von trans*, LSBT- [Lesben-Schwul] und queer-feministischen Kontexten, die von Selbsthilfe- bis hin zu aktivistischen Gruppen reichen. Aufgrund dieser Verbreitung und Inklusivität verwenden wir Trans* als Oberbegriff, um ein breites Spektrum von Identitäten, Lebensweisen und Konzepten zu bezeichnen, auch solche, die sich geschlechtlich nicht verorten (lassen) möchten. Gleichzeitig ist es uns ein Anliegen, die jeweils spezifischen Erfahrungen, Positionen und Selbstbezeichnungen zu differenzieren und zu benennen, die im Folgenden vorgestellt werden. Die Schwierigkeiten und Grenzen eines Oberbegriffs sind uns bewusst.“ (Franzen/Sauer 2010: 7).

2 Trans*Personen werden in herrschenden medizinischen Quellen als „Transsexuelle“ bezeichnet, was das „Sexuelle“, d. h. das physische biologische Geschlecht und einen angeblich vorausgesetzten Wunsch nach einer operativen und hormonellen Behandlung betont. Im Krankheitskatalog der Weltgesundheitsorganisation („International Classification of Diseases“, ICD-10) steht „Transsexualismus“ als eine psychiatrische Störung, nämlich die „Störung der Geschlechtsidentität“ (F.64). Der Kampf für die Abschaffung dieser Klassifikation von Trans*Identitäten als krankhaft und homogenisiert ist ein wesentlicher Bestandteil der Trans*Bewegung und dadurch auch des rezensierten Buches.

3 „There are so many, many ways of being us“

4 „Gender non-conforming people“

5 „Gender Identity“

6 „(...) but sex and gender are not completely separate concepts, and social and biological factors play an important role in defining both our sex and gender“