Roderic Ai Camp:
The Metamorphosis of Leadership in a Democratic
Mexico
New York: Oxford
University Press, 2010, 301 Seiten
Rezension: Clarissa Heisig
♦ Seit
mehr als 40 Jahren widmet der US-amerikanische Politikwissenschaftler Roderic
Ai Camp seine Forschungsarbeit den politischen Eliten Mexikos. In zahllosen Monographien
und Aufsätzen hat der am kalifornischen Claremont McKenna College lehrende
Professor für Regierungslehre eine Fülle empirischer Daten zu Biographien und
Karrierewegen mexikanischer Politiker zusammengetragen, die in der Forschung zu
diesem Thema ihres Gleichen sucht. Auch in seiner Monographie The Metamorphosis of Leadership in a
Democratic Mexico greift Camp auf diese beeindruckende Datenbasis zurück. Empirische
Grundlage seiner Analyse ist eine biographische Datenbank, die Angaben zu nicht
weniger als 3.000 mexikanischen Politikern enthält, beginnend mit der
vordemokratischen Phase (1935-1988) über die Etappe der demokratischen
Transition (1988-2000) bis hin zur demokratischen Periode (2000-2009).[1]
Im Fokus von Camps Interesse steht die Frage, wie sich der Wandel des
mexikanischen politischen Systems auf die politischen Eliten des Landes
ausgewirkt hat. Er knüpft dabei an die seit Mitte der neunziger Jahre geführte
Forschungsdebatte zu den Auswirkungen von Demokratisierungsprozessen auf politische Eliten in Lateinamerika an.[2] Weitere Leitfragen lauten:
Inwiefern hatte die Transition von einem semiautoritären Einparteiensystem zu
einem demokratischen Mehrparteiensystem den Aufstieg neuer Elitengruppen zur
Folge? Und in welchen Bereichen des politischen Systems hat sich die
Elitenstruktur am stärksten gewandelt?
Der Autor vermittelt ein differenziertes
Bild der spezifischen Aufstiegswege in Exekutive, Legislative und Judikative
und beleuchtet auch deren Überschneidungspunkte. Dazu wird ein Überblick der
unterschiedlichen Rekrutierungsmuster auf lokaler, bundestaatlicher und
nationaler politischer Ebene gegeben. Analysen der Elitenstrukturen der drei größten
Parteien Partido Revolucionario Institucional (PRI), Partido Acción Nacional
(PAN) und Partido de la Revolución Democrática (PRD) runden das Bild ab.
Laut Camp durchläuft die mexikanische Demokratie gegenwärtig einen
Konsolidierungsprozess, der sich in der zunehmenden Pluralisierung politischer
Macht widerspiegelt. Dementsprechend geht der Autor der Frage nach, wie sich
diese Pluralisierung auf formelle und informelle Rekrutierungsmuster,
Aufstiegswege und soziodemographische Merkmale der politischen Eliten auswirkt.
Deutlich wird dabei, dass die Elitenstruktur in einigen Bereichen auch im Zuge
der Demokratisierung erstaunlich beständig geblieben ist, so etwa in
wirtschafts- und finanzpolitischen Institutionen der Exekutive. Andere Bereiche
wie die Legislative waren indes stärkeren Veränderungen unterworfen.
Auch bei den Aufstiegswegen in exekutive Führungspositionen auf nationaler
Ebene sind nach Camps Darstellung Veränderungen zu beobachten, insbesondere bei
der Besetzung von Kabinettsposten. So habe die gestärkte Position der Legislative
zu einer Aufwertung von Karriereetappen im Kongress und im Senat geführt. Die
Dezentralisierung des politischen Systems trug derweil zu einer höheren Wertschätzung
politischer Erfahrungen auf regionaler Ebene und zu einer gewissen Regionalisierung
politischer Karrieren bei. Ein Ausdruck dessen ist laut Camp die gestiegene
Bedeutung des Gouverneurspostens als Stufe auf der Karriereleiter in exekutive
Führungspositionen auf nationaler Ebene. Zudem verstärkte sich der Einfluss der
Parteien im Rekrutierungsprozess: In den beiden PAN-Administrationen
(2000-2006, 2006-2012) wurden mehr Kabinettsposten als je zuvor mit Politikern
besetzt, die zuvor Parteiämter innehatten.
Parallel zu diesen Veränderungen stellt Camp auch bemerkenswerte
Kontinuitäten fest. So haben informelle Rekrutierungsmechanismen – etwa mittels
elitärer Karrierenetzwerke – den Wandel des politischen Systems in allen
Bereichen weitgehend unbeschadet überstanden. Auch zentrale soziodemographische
Charakteristika der traditionellen Eliten wie ihre schwerpunktmäßige
Rekrutierung aus der Mittel- und Oberschicht oder ihre mehrheitliche Herkunft
aus der mexikanischen Hauptstadt haben sich im Zuge der Demokratisierung nicht
nur erhalten, sondern sogar noch verstärkt.
Durch die vielfältigen Untersuchungsebenen und Differenzierungen hebt sich
Camps Untersuchung von anderen, auf einzelne Bereiche beschränkten Studien ab
und erlangt eine thematische Breite und empirische Tiefe, die in der
mexikanischen Elitenforschung zuletzt Ende der siebziger Jahre in Peter Smiths Labyrinths of Power. Political Recruitment
in Twentieth-Century Mexico (1979) erreicht wurde. Die detaillierten
empirischen Kenntnisse und umfangreichen Schilderungen einzelner Aufstiegswege
führen jedoch mitunter dazu, dass sich die Forschungsfrage im empirischen
Detail verliert. Die Entwicklungen der Akteure werden sehr präzise skizziert,
der Frage aber, wie der Zusammenhang zwischen Demokratie als Systemform und
Elitenstruktur im Einzelnen beschaffen ist, wird weniger Beachtung geschenkt.
Eine der Ursachen hierfür mag im prozeduralen Demokratieverständnis des
Autors liegen. Es ermöglicht zwar, die Auswirkungen von spezifischen
Veränderungen des politischen Regelsystems – beispielsweise des veränderten
Wahlsystems – auf die politischen Eliten zu erfassen. Über die prozedurale
Ebene hinausgehende Fragen können damit jedoch nur partiell untersucht werden:
So etwa, ob zu erwarten ist, dass politische Eliten in demokratischen Systemen
eher der Gesamtbevölkerung entsprechen als in semiautoritären Systemen. Zwar
kommt Camp zu dem Schluss, dass die politischen Eliten im demokratisch
verfassten Mexiko hinsichtlich ihrer soziodemographischen Merkmale weniger
repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sind als in der vordemokratischen Zeit.
Die interessante Frage aber, ob das semiautoritäre politische System aufgrund
anderer Legitimitätsanforderungen auf eine höhere Repräsentativität seiner
Eliten bedacht war, behandelt er leider nur am Rande. Hierfür wäre es hilfreich
gewesen, Demokratie als Systemform in den Blick zu nehmen, um den Zusammenhang
zwischen Legitimitätsanforderungen politischer Systeme und Elitenstruktur näher
zu beleuchten.
Ebenfalls bedauerlich ist, dass der Autor seine Ergebnisse nur sehr
partiell in die Forschungsdebatte einordnet. Häufig bleibt unklar, welche der
skizzierten Entwicklungen auch in anderen Demokratisierungsprozessen zu
beobachten sind und welche mexikanische Spezifika darstellen. Dessen ungeachtet
handelt es sich bei The Metamorphosis of
Leadership in a Democratic Mexico jedoch um eine lesenswerte, sowohl
historisch als auch empirisch fundierte Untersuchung der politischen Eliten
Mexikos vor, während und nach der demokratischen Transition. ♦
Weitere zitierte Bücher:
Burton, Michael et
al. (1995):
Elites and Democratic Consolidation in Latin America and Southern Europe, Cambridge: Cambridge University
Press.
Camp, Roderic Ai (2011): Mexican Political Biographies. 1935-2009, 4rd edition,
Austin: University of Texas Press.
Smith,
Peter (1979): Labyrinths of Power: Political Recruitment in
Twentieth-Century Mexico, Princeton: Princeton University Press.