Fabrice Lehoucq (2012)

The Politics of Modern Central America. Civil War, Democratization, and Underdevelopment

Cambridge: Cambridge University Press, 204 S.


Rezensiert von Markus-Michael Müller

ZI Lateinamerika-Institut, Freie Universität Berlin


Nach mehr als zwei Jahrzehnten Forschung über die politische und ökonomische Entwicklung Zentralamerikas, legt Fabrice Lehoucq, Associate Professor am Fachbereich Politikwissenschaft der University of North Carolina, seine zweite Monographie vor. Die Studie analysiert die politische und ökonomische Entwicklung Zentralamerikas seit den 1970er Jahren, um hierüber drei Beiträge zu wesentlichen Debatten der vergleichenden Politikwissenschaft zu leisten: (a) zur Debatte um die Ursachen von Bürgerkriegen, (b) zu der Diskussion nach dem Warum von Demokratisierungsprozessen in Nach(bürger)kriegsgesellschaften und (c) zur Debatte über die Rolle ökonomischer Entwicklung für Demokratisierungsprozesse (2-3).


Das erste Kapitel wendet sich nach einer Kontextualisierung der politischen und ökonomischen Situation Zentralamerikas gegen Ende der 1970er Jahre der Analyse der Ursachen für das Aufkommen von reaktionär-despotischen Regimen in vielen zentralamerikanischen Staaten zu. Gegenüber von Untersuchungen, die das Entstehen dieser Regime als eine politische Reaktion auf wachsende Ungleichheit (und damit korrespondierende politische Mobilisierungsprozesse) und die Abhängigkeit Zentralamerikas von landwirtschaftlichen Exportgütern betrachten, betont Lehoucq die Zentralität von politischen Prozessen und Kämpfen um politische Hegemonie. Dort, wo politische Kämpfe zu Pattsituationen führten, arrangierten sich Konfliktparteien mit der langfristigen Teilung der Staatsmacht, was sowohl die Macht der Exekutive beschränkte, als auch die Rolle von Wahlen stärkte. Demgegenüber führten eindeutige Siege eines Akteurs in politischen Kämpfen zur Installation des Militärs als letztinstanzlichem Garant der Staatsmacht (28).


Nachfolgend untersucht Lehoucq die Genese von Bürgerkriegen. Erneut wendet er sich gegen die scheinbare „Unvermeidbarkeit“ dieser Konflikte aufgrund der ökonomischen Struktur und der damit zusammenhängenden sozialen Ungleichheit. Vielmehr argumentiert Lehoucq, dass die Dominanz eines spezifischen Regimeytps in den meisten Ländern Zentralamerikas (mit Ausnahme von Panama und Costa Rica), den er als „inkonsistenten Autoritarismus“ (inconsistent authoritarian regime) bezeichnet, das Aufkommen von Bürgerkriegen in der Region erklären kann. Kennzeichnend für diesen Regimetyp ist ein hoher Grad von (Eliten)Fraktionalismus sowie die (damit zusammenhängende) Unfähigkeit, oppositionelle Akteure nachhaltig auszuschalten und stabile politische Regeln der Elitenzirkulation zu etablieren. Wo diese Schwächen von oppositionellen Akteuren ausgenutzt wurden, und es ihnen gelang, Diktatoren von ihrer Elitenbasis zu trennen, wie etwa in Nicaragua, wurden diese Regime durch Bürgerkrieg gestürzt. Wo dies nicht gelang, wie etwa in El Salvador, fühlte sich die „alte Ordnung“ gezwungen, den politischen Status quo durch die Ausweitung staatlicher Repression zu verteidigen. Und in den Fällen wie Guatemala, in denen politische Nachfolgekrisen zu einer Reorganisation der Eliten führten, wurde das Militär benutzt, um mit Gewalt jegliche insurrektionelle Aktivität zu bekämpfen (31).


In Kapitel drei wendet sich Lehoucq gegen die These, dass Demokratisierungsprozesse in erster Linie durch ökonomische Entwicklung zu erklären sind. Erneut betont er die Rolle politischer Faktoren. Insbesondere die Rolle von Gewalt und die gewalttätige Bedrohung, derer sich die Eliten in Zentralamerikas Bürgerkriegskontexten ausgesetzt sahen, waren für ihn die entscheidenden Faktoren, welche die zunehmend geringere Unterstützung für Diktaturen seitens der Eliten und die politische Liberalisierung der betroffenen Staaten erklärten. Diese Entwicklung wurde durch geopolitische Veränderungen, vornehmlich das absehbare Ende der Ost-West-Konfrontation, verstärkt. In diesem Sinne waren es nicht ökonomische Entwicklungen, die politische Veränderungen in Zentralamerika auslösten, sondern Kriege, globale Veränderungsprozesse und deren Rückwirkungen auf regionale Machtgleichgewichte (95).


Im nachfolgenden Kapitel untersucht Lehoucq die Frage, warum trotz des Endes der Bürgerkriege in Zentralamerika das (sub)regionale Wirtschaftswachstum seit den 1990er Jahren eher „mager“ ausfällt. Seine Haupterklärung ist, dass die geringe wirtschaftliche Entwicklung auf dem Isthmus in erster Linie auf die mangelnde Produktivität der lokalen Wirtschaften und deren weiterhin bestehende Abhängigkeit von billigen Arbeitskräften zurückzuführen sei. Technologieinvestitionen, welche die Arbeitsproduktivität steigern könnten, würden von Seiten der Arbeitgeber weitgehend nicht getätigt. Diese Entwicklung wird unterstützt von der schwachen Steuerbasis der zentralamerikanischen Staaten – ein Strukturmerkmal, das die Neoliberalisierung des Isthmus noch verstärkt hat –, welche nicht in der Lage sind, zu einer Verbesserung des Humankapitals beizutragen. Von daher ist es vorrangig die Nähe zu den Vereinigten Staaten, die Zentralamerika für internationale Investitionen attraktiv macht (117).


Das letzte Kapitel wendet sich der Frage zu, ob die Demokratisierungsprozesse in Zentralamerika zu einer Abmilderung von sozialer Ungleichheit beigetragen haben. Gegenüber Arbeiten, die die positiven Effekte freier Wahlen auf Einkommensungleichheiten hervorheben, zeigt Lehoucq hier, dass insbesondere das „Alter“ einer Demokratie und die institutionelle (bürokratische) Fähigkeit eines Staates Schlüsselvariablen zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen Demokratie und Ungleichheit sind. Je älter Demokratien sind, wie etwa Costa Rica, desto eher haben sich Parteiensysteme weg von Patronagemaschinen hin zu Institutionen entwickelt, welche nachhaltig WählerInneninteressen an sozialen Dienstleistungen in entsprechende Politiken im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialversicherungsbereich überführen. Weiterhin trägt das Alter einer Demokratie für Lehoucq auch zu einer Verbesserung der Staaten bei (151). Da in Zentralamerika jedoch „alte“ Demokratien die Ausnahme und nicht die Regel sind, betrachtet Lehoucq die „Schwäche“ der demokratischen Staaten in der Subregion als die wohl zentrale Hinterlassenschaft des reaktionären Despotismus (151).


Das Buch bietet einen kompetenten und innovativen Überblick über die politischen und ökonomischen Entwicklungsprozesse in Zentralamerika während der letzten vier Jahrzehnte. Insbesondere die analytische Betonung der Rolle politischer Prozesse und Konflikte (sowie Gewalt) zur Erklärung der politischen Entwicklungen in der Region heben sich positiv von anderen, oftmals von einem ökonomischen Funktionalismus geleiteten Ansätzen zur Erklärung von Regimedynamiken ab. Die Studie ist methodisch versiert und zeigt deutlich, wie Arbeiten über eine spezifische (Sub)Region in der Lage sind, empirisch gesättigte, generalisierbare Beiträge zu zentralen Debatten der vergleichenden Politikwissenschaft zu leisten. Das Buch weist einen souveränen Stil auf, ist präzise argumentiert und gut zu lesen. Der einzige Kritikpunkt, der an dieser Stelle anzubringen wäre, ist die tendenzielle Vernachlässigung der Rolle der Vereinigen Staaten, vor allem während der Bürgerkriegsjahrzehnte. Zwar benennt Lehoucq an zahlreichen Stellen die, in der Regel, negativen Auswirkungen US-amerikanischer Außenpolitik auf die Persistenz autoritärer Regime in der Region. Eine zentralere Berücksichtigung dieser Dimension wäre jedoch wünschenswert gewesen – nicht zuletzt auch, um ein facettenreicheres Bild der Rolle der Vereinigten Staaten und der US-Außenpolitik in der Region zu zeichnen. Dessen ungeachtet leistet das Buch einen wichtigen und gelungenen Beitrag zum Verständnis der politischen und ökonomischen Entwicklung in Zentralamerika, weshalb es thematisch interessierten Leserinnen und Lesern zu eigenen Lektüre sehr zu empfehlen ist.